14. März 2025 | 14. Adar 5785
Netanjahus Reden vor dem US-Kongress

Verhallte Warnungen

Der israelische Premier Netanjahu tritt zum vierten Mal vor den US-Kongress. In den drei Reden seit 1996 warnte er immerzu vor dem Iran. Andere meinten, es besser zu wissen.
Analyse | 23.07.2024

Die besondere Verbundenheit zwischen Israel und den USA ist gerne ein Thema für Sonntagsreden; sie lässt sich aber auch beziffern. Etwa durch die Zahl der Auftritte vor beiden Kammern des Kongresses: Am Mittwoch wird mit Benjamin Netanjahu zum zehnten Mal ein israelischer Würdenträger auf das Podium treten. Keine andere Nation kommt dem gleich.

Für Netanjahu ist es auch ein persönlicher Triumph: Mit seiner dritten Rede im Jahr 2015 zog er zahlenmäßig mit dem früheren britischen Premier Winston Churchill (1874–1965) gleich. Die vierte Rede macht ihn zum alleinigen „Rekordhalter“.

Dauerbrenner Iran

Naturgemäß haben sich die Themen im Lauf der Zeit gewandelt. Eines zog sich jedoch durch alle drei Reden: Die Warnung vor einem nuklearen Iran. Bereits im Jahr 1996 – er hatte damals seine ersten drei Wochen als Premier bestritten – nannte er Teheran das „gefährlichste aller Regime im Nahen Osten“. Es dürfe keinesfalls Atomwaffen erlangen. Die Zeit, dies zu verhindern, sei „extrem knapp“.

Im Jahr 2011 warnte er zudem vor einem Wettrüsten in Nahost, wenn der Iran zu Atomwaffen gelangen würde. Vier Jahre später war der Iran nicht nur ein Thema neben anderen, sondern das einzige Thema seiner Rede. Genauer: Der Atomdeal, den US-Präsident Barack Obama anvisierte und der damals kurz vor der Unterschrift stand.

Eingetretene Befürchtung

In dieser rhetorisch wohl ausgefeiltesten Rede bemängelte Netanjahu nicht nur, dass der Deal dem Iran alle Türen für Atomwaffen offenlasse; er warnte auch vor den Geldern, die Teheran durch die Aufhebung der Sanktionen erhielte. Diese werde das Regime nutzen, um seine Terrorableger in der Region zu fördern. Netanjahu nannte unter anderem die Hamas im Gazastreifen, die Hisbollah im Libanon und die Huthis im Jemen. Sie alle versorge der Iran bereits mit Waffen.

Das Weiße Haus sah die Rede als Affront. Der Atomdeal sollte der diplomatische Höhepunkt der Amtszeit Obamas werden. Der damalige US-Vizepräsident, ein gewisser Joe Biden, blieb Netanjahus Auftritt wegen angeblicher Termingründe fern.

Wie ironisch, dass ausgerechnet er neun Jahre später der erste US-Präsident sein würde, der den jüdischen Staat in Kriegszeiten besucht – weil sich Israel im offiziellen oder faktischen Krieg mit den Terrorgruppen befindet, die Netanjahu 2015 nannte: Hamas, Hisbollah und die Huthis.

Im Jahr 2011 konnte Netanjahu mit Biden noch Witze reißen. Man mag es kaum glauben, aber schon damals war dessen Alter ein Thema – wenn auch nicht mit den dramatischen Zügen der Gegenwart. An den hinter ihm sitzenden 68-Jährigen gewandt sagte der 61-jährige Netanjahu: „Herr Vizepräsident, erinnern Sie sich noch an die Zeit, als wir die neuen Jungs in der Stadt waren?“

Netanjahu kam darauf zu sprechen, weil seine erste Rede vor dem Kongress im Jahr 1996 inzwischen 15 Jahre her war. Aber natürlich kannten sich die beiden bereits aus Netanjahus Zeit bei den israelischen Botschaften in Washington und New York in den 1980er Jahren.

Die „Zwei-Staaten-Lösung“ im Lauf der Zeit

Inzwischen ist die Rede von 2011 13 Jahre her. Damals hatte die „Zwei-Staaten-Lösung“ noch ein Momentum. Netanjahu hatte sich zwei Jahre zuvor, als altneuer Premier, in der Bar-Ilan-Rede explizit für diesen Ansatz ausgesprochen – aus taktischen Gründen: Der frisch gewählte US-Präsident Obama favorisierte dieses Konzept. Im Jahr 2014 sollte dessen Außenminister John Kerry zu diesem Zweck eine unermüdliche Shuttle-Diplomatie betreiben, die aber letztlich scheiterte.

Netanjahu reihte sich mit seinem Vorstoß zwar in die Liste seiner Amtsvorgänger ein, die ebenfalls einen „palästinensischen Staat“ anvisierten. Aber ebenso wie etwa der ermordete Jizchak Rabin (1922–1995) verstand er darunter keinen Staat im klassischen Sinn. Es ging um ein politisches Gebilde, bei dem Israel weiterhin die Sicherheitshoheit hat, vor allem im Jordantal.

Diese Haltung ist indes keine Besonderheit Netanjahus oder Rabins, sondern reicht noch viel weiter zurück. Schon bei den Friedensverhandlungen mit Ägypten Ende der 1970er Jahre machten die Israelis deutlich, dass sie einen „PLO-Staat“ fürchteten, also einen Terrorstaat bei praktisch nicht zu verteidigenden Grenzlinien.

Inzwischen konnte Netanjahu schlechte Erfahrungen mit den Palästinensern anführen, um vor so einem Staat zu warnen: Der Rückzug Israels im Jahr 2005 habe dem jüdischen Staat nur Terror gebracht, sagte er seinen Zuhörern. Das gleiche gelte für den Rückzug im Jahr 2000 aus dem Südlibanon.

Heute könnte Netanjahu das Terrormassaker vom 7. Oktober als weiteren Beleg anführen. Aber eine „Zwei-Staaten-Lösung“ ist für Israel ohnehin vom Tisch. Erst Mitte Juli hatte sich die Knesset explizit gegen einen palästinensischen Staat im Westjordanland ausgesprochen – auch das ist eine neue Gegebenheit, unter der Netanjahu im Kongress nun auftritt.

Eine Frage des Rückhalts

Das ist natürlich nicht die einzige Besonderheit im Vergleich zu den früheren Auftritten. Netanjahu spricht in einer Zeit des Kriegs in Israel und des innenpolitischen Chaos‘ in den USA. Hinzu kommt eine anti-israelischen Stimmung in elitären, linksgerichteten Kreisen, ob an den Universitäten oder im Kulturbetrieb.

In früheren Reden konnte sich Netanjahu auch einer überwältigenden parteiübergreifenden Unterstützung sicher sein. Inzwischen steht zumindest hinter dem linken Flügel der Demokraten ein Fragezeichen. Der israelkritische bis israelfeindliche „Squad“ zieht seit 2018 Aufmerksamkeit auf sich.

Der demokratische Senator Bernie Sanders hat bereits bekanntgegeben, der Rede nicht beizuwohnen – wie bereits 2015. Damals beanstandete er Netanjahus Affront mit dem Weißen Haus. Inzwischen hält er den Premier wegen des Vorgehens im Gazastreifen für genauso schlimm wie Jachja Sinwar, den Gaza-Chef der Terror-Organisation Hamas.

Etwas gewichtiger ist es, dass US-Vizepräsidentin Kamala Harris der Rede fernbleiben wird. Immerhin hat sie mit Netanjahu ein Treffen vereinbart. Dennoch spricht ihre Entscheidung Bände: Einem Land in Kriegszeiten auf diese Weise die Unterstützung zu verweigern, deutet auf Risse hin.

Unterstützung in der Bevölkerung

Ein aus israelischer Sicht gutes Zeichen ist immerhin, dass die vier führenden Politiker im Kongress und damit beider Parteien die Einladung an Netanjahu ausgesprochen haben. Es gelte, Israel im Kampf gegen den Terror der Hamas zu unterstützen, lautete die Begründung.

Die US-Bevölkerung scheint grundsätzlich hinter Israel zu stehen: In der Juni-Umfrage von Harvard-Harris sagten 80 Prozent der Befragten Unterstützung für Israel zu, 20 Prozent für die Hamas. 82 Prozent meinen, die Hamas müsse aus dem Gazastreifen beseitigt werden. 70 Prozent geben sogar an, Israel müsse die Operation in Rafah fortsetzen.

Das sind Zahlen, die Netanjahu zuversichtlich stimmen können. Der Premier beabsichtigt mit der Rede jedenfalls, weitere Unterstützung für den Kampf gegen den Terror, der inzwischen auch offiziell ein Krieg ist, zu gewinnen.

Der Rückblick auf seine drei bisherigen Reden hinterlässt den Eindruck, dass dieser erneute Auftritt nicht nötig wäre, wenn die Zuhörer die Worte des Premiers zum Anlass genommen hätten, entschiedener gegen den Iran und seine Ableger vorzugehen.