Die Olympischen Spiele stehen nach Auffassung ihrer Organisatoren und Enthusiasten für das Miteinander der Menschen. Olympia soll frei von ideologischen Diskussionen und Streitereien bleiben. Wenn von diesen hehren Idealen die Rede ist, fällt schnell der Begriff „olympischer Geist“.
Beim Christentum haben die Veranstalter nun aber eine Ausnahme gemacht: Bei der Eröffnungsfeier für die Spiele von Paris war einer queere Verballhornung der Abendmahlsszene zu sehen. Die Veranstalter stichelten gegen das Christentum und nur gegen das Christentum.
Immerhin: Dank der Szene hat die Show vom Freitag ein Gesprächsthema. Doch genau das ist der Punkt: Eigentlich sollte es um die Sportler, die Disziplinen und den Austragungsort gehen. Nun bewegt diese eine kurze Szene, die nichts mit all dem zu tun hat, die Herzen vieler Menschen.
Nicht nur deswegen lässt sich die Aktion als dummdreist einstufen. Zum einen war sie, wie bereits angedeutet, deplatziert. Zwar gibt es unzählige Satiren und Parodien auf das Abendmahl oder das Christentum, die nicht für so viel Aufregung sorgen, ob bei Monty Python, South Park oder den Simpsons. Doch sie stammen von Akteuren, die sich nicht wie die Verantwortlichen von Olympia auf die Fahnen schreiben, an der Weltharmonie zu werkeln.
Dann drängt sich auch das grundlegendere Thema „Provokation“ auf. Der Philosoph Slavoj Žižek empfand derartige Vorstöße bereits vor 20 Jahren als abgestanden. Mit Blick auf sexuelle Grenzüberschreitungen im Theater schrieb er: „Gibt es irgendetwas Drögeres, Opportunistischeres der Sterileres als sich der Anweisung des Über-Ichs zu beugen und ständig neue künstlicher Grenzüberschreitungen und Provokationen zu ersinnen …?“
Als eine neue Art der Grenzüberschreitung kann die Szene von Freitag sicher gelten. Die olympische Bühne bot noch nie derlei Spott, garniert mit sexualisiertem Ambiente.
Und ja, die Veranstalter meinten das Abendmahl: Regisseur Thomas Jolly verweist zwar auf das Gemälde „Fest der Götter“ von Jan van Bijlert als Inspiration, aber damit ist niemandem geholfen. Zum einen war die Szene mit dem blauen Weingott Dionysos, die wohl das „Fest der Götter“ darstellen soll, rund 40 Minuten nach dem Augenblick zu sehen, der für die Empörung sorgte. Zum anderen ist besagtes Gemälde selbst eine Anspielung auf das Abendmahl.
Darüber hinaus hat sich die Darstellerin Barbara Butch in den sozialen Medien als „Olympischer Jesus“ bezeichnet. Auf Instagram teilte sie dann auch einen Post, der die Szene mit dem Abendmahl in Verbindung bringt, versehen mit dem Kommentar „Gay New Testament“; erst nach empörten Reaktionen löschte sie das wieder. Abgesehen davon gingen auch französische Medien von „Le Monde“ über „Le Parisien“ bis hin zu „France TV“ zunächst fest davon aus, dass es sich um eine Nachstellung des Abendmahls handelte.
Nun ist mit Grenzüberschreitungen in einer freiheitlichen Gesellschaft, als deren Vorreiter sich Frankreich gerne sieht, zu rechnen. Manche begrüßen sie, andere empören sich über sie, alle müssen damit leben. Doch zu einer solchen Gesellschaft gehört auch die Kritik an derartigen Vorstößen.
Ein weiterer Kritikpunkt könnte so aussehen: Die Provokation vom Freitag erweist den freiheitlichen Gesellschaften einen Bärendienst. Denn die Machthaber autoritärer Systeme können nun sagen: Seht her, was für Geschmacklosigkeiten der Freiheitsgedanke bereithält. Die olympische Bühne wird missbraucht, um eine große Gruppe von Menschen vor den Kopf zu stoßen. Vielen Dank für das Anschauungsmaterial.
Die liberale Gesellschaft, der Freiheitsgedanke selbst ist damit unattraktiver geworden. Und das in einer Zeit, in der der Kampf zwischen freiheitlichen und autoritären Systemen so stark wie lange nicht mehr tobt. Dümmer geht es kaum.
Festzuhalten ist auch, dass die Ideengeber nicht von Feigheit freizusprechen sind. Wenn diese Verballhornung der Abendmahlszene Kritik am Christentum gewesen sein soll wegen dessen Haltung zu sexueller Vielfalt, dann sollten die Finger auch auf den Islam zeigen. Offenkundig wussten die Veranstalter, wo eine lammfromme Reaktion zu erwarten ist und wo eher nicht.
Wünschenswert wäre es gewesen, wenn die kreativen Köpfe hinter der Show die Reife besessen hätten, einfach nur die Schönheit des Sports zu feiern und auf ihren Ego-Trip verzichtet hätten. Aber mit der westlichen Freiheit, zu der auch ein Sinn für Maß und Mitte gehört, kommen eben nicht alle zurecht.