14. März 2025 | 14. Adar 5785
Abkommen vor 30 Jahren

Das Trugbild von Oslo

Vor 30 Jahren verständigten sich Israel und die PLO auf erste Schritte zur palästinensischen Autonomie. Der Prozess war von Anfang an mit Illusionen verbunden.
Hintergrund | 13.09.2023

In der Nacht zum 13. September 1993 war Jasser Arafat ohne Schlaf geblieben. Der Chef der „Palästina-Befreiungsorganisation“ (PLO) befand sich in Washington, um die Prinzipienerklärung mit den Israelis zu unterzeichnen, besser bekannt als Oslo I. Doch nicht die Zeitverschiebung hielt ihn wach, sondern eine „Schwachstelle“: Im Text war keine Rede von der PLO, lediglich von einer „palästinensischen Delegation“. Das war Arafat nicht gut genug: Die PLO musste namentlich ins Vertragswerk.

Am frühen Morgen griff er zum Telefonhörer, riss seinen Berater Ahmed Tibi aus dem Schlaf und schilderte sein Anliegen. Der Gynäkologe und spätere Knesset-Abgeordnete erzählte im Rückblick, dass die Israelis zunächst damit drohten, abzureisen, als sie von Arafats Wunsch erfuhren: Die PLO, das waren Terroristen.

Die Israelis hatten zwar mit PLO-Vertretern die Verhandlungen geführt. Doch sie hofften bis zuletzt, dass niemand davon erfahren würde. Final und vor den Augen der Welt unterschreiben sollte das Abkommen ein Vertreter der „lokalen“ Palästinenser aus den umstrittenen Gebieten – im Gegensatz zur PLO, die sich damals im Exil in Tunis befand.

Doch in den Tagen vor der Zeremonie verweigerte der Palästinenservertreter Haidar Abdel-Schafi die Unterschrift – offenkundig in Abstimmung mit der PLO. Der Prozess war zu diesem Zeitpunkt schon zu weit vorgedrungen, die Israelis konnten nicht mehr zurück. Und so war es Arafat, der zur Unterzeichnung nach Washington kam. Die Forderung nach Erwähnung der PLO im Abkommen war dann der jüngste Coup, den die Palästinenser versuchten. Um die Sache nicht im letzten Augenblick scheitern zu lassen, lenkten die Israelis ein.

Wenige Stunden später entstand das ikonische Bild auf dem Rasen vor dem Weißen Haus: Arafat und der israelische Premier Jitzchak Rabin reichten sich nach der Unterzeichnung die Hände, hinter ihnen stand US-Präsident Bill Clinton mit ausgestreckten Armen. Die Anmut der Szene konnte die meisten Betrachter über den bizarren Entstehungsprozess hinwegtäuschen. Und über die Illusionen, die dieser Spätsommertag bereithielt.

Von Sozialstudien zu Gesprächen

Was später als Oslo-Prozess bekannt wurde, begann Ende der 1980er Jahre mit Sozialstudien von Terje Rød-Larsen unter Palästinensern. Der Norweger war damals Geschäftsführer des in Oslo beheimateten „Instituts für angewandte Sozialwissenschaft“ (FAFO). Dem Israeli Jossi Beilin vermittelte er dann seine Eindrücke: Die Palästinenser seien müde von der „Intifada“, die seit Dezember 1987 im Gang war, und bereit für ein Friedensabkommen.

Beilin war damals, im Frühjahr 1992, im Begriff, stellvertretender Außenminister Israels zu werden. Er vereinbarte mit Larsen, nach den Wahlen im Juni 1992 Gesprächskanäle mit den Palästinensern einzurichten. Nach der Wahl begannen sie informell und unter strenger Geheimhaltung, zum Teil auch mit PLO-Vertretern, obwohl dies damals verboten war. Beilin betrachtete die Gespräche anfangs nur als „intellektuelle Übung“, nichts Ernstes. Auch Außenminister Schimon Peres setzte er davon zunächst nicht in Kenntnis.

Mit der Zeit entstand aber die Idee für ein Abkommen. Im Januar hob die Knesset das PLO-Kontaktverbot auf, und es kam zu regelmäßigen Treffen zwischen Israelis und PLO-Vertretern südlich von Oslo. Erst im März 1993, als es einen ersten gemeinsamen Entwurf gab, erfuhren auch Peres und später Premierminister Jitzchak Rabin davon.

Wie der damalige und jüngst verstorbene Mossad-Chef Schabtai Schavit erzählte, war Rabin kein Freund dieser Vorgänge. Er hatte nicht zuletzt wegen der anfänglichen Geheimhaltung das Gefühl, hintergangen zu werden. Dennoch ließ er sich darauf ein: Verhandlungen mit Palästinensern über eine Autonomie hatte er im Wahlkampf 1992 zur obersten Priorität erklärt. Außerdem sah er Israel wirtschaftlich und diplomatisch so stark, dass das Land „Risiken“ auf sich nehmen konnte.

Beobachter machten an Rabin aber auch einen anderen Beweggrund aus: Der damals 71-Jährige hatte demnach den Eindruck, dass die Israelis nicht länger bereit seien, es mit dem Terror aufzunehmen. Besonders die „Intifada“ habe bei ihm zu Verzagtheit geführt: In dem „Volksaufstand“ war die Überlegenheit der Armee nichts wert. Zudem verlor Israel in dieser Konstellation – steinewerfende Jugendliche gegen schwerbewaffnete Soldaten – ständig den Kampf der Bilder.

Abkommen nach Plan

Arafat hatte ebenfalls seine Gründe, bei diesem Prozess mitzumachen. Einerseits hatte er es nötig: Wegen seiner Unterstützung des irakischen Diktators Saddam Hussein im zweiten Golfkrieg (1990–1991) hatte er sich und die PLO in der arabischen Welt isoliert und deren Gelder verloren. Oslo bot ihm die Gelegenheit, sein eigenes politisches Ende abzuwehren und die PLO vor dem finanziellen Ruin zu bewahren.

Hinter dem „Zugehen“ auf Israel steckte aber noch ein anderes Ansinnen. Im Jahr 1974 hatte die PLO den sogenannten Zehn-Punkte-Plan oder Stufenplan verabschiedet. Er ist bis heute gültig und sieht unter anderem die „Befreiung des gesamten palästinensischen Landes“ (also die Vernichtung Israels) vor. Der Kerngedanke dabei ist, im Kampf gegen Israel nicht allein auf Waffengewalt zu setzen. Auch „andere Mittel“, also Verhandlungen, gelten als geeignet, selbst wenn dabei nur „Teilerfolge“ zu erzielen sind.

Eine Etappe auf diesem Weg war die Unabhängigkeitserklärung von 1988. Mit ihr erkannte die PLO den UN-Teilungsplan von 1947 und damit indirekt auch Israel an. Ein weiteres Ziel des Stufenplans ist es, durch „bewaffneten Kampf“, also Terrorismus, die Einrichtung einer „nationalen Behörde auf jedem palästinensischen Gebiet, das befreit ist“, herbeizuführen. Einmal etabliert, soll sie sich um die Einheit der „Konfrontationsländer“ bemühen, um „die Befreiung aller palästinensischen Gebiete zu vollenden“.

Während sich alle Welt nach der Unterzeichnungszeremonie in Washington ihre Hoffnung auf Frieden machte, hielt Arafat am Abend desselben Tages eine Ansprache an die Palästinenser. Das jordanische Fernsehen übertrug sie, in der westlichen Welt wurde sie kaum wahrgenommen. In ihr betonte Arafat, das eben unterzeichnete Abkommen sei ein erster Schritt im „Plan von 1974“. Jeder Araber im Nahen Osten wusste, was damit gemeint war.

Und es sah alles nach Plan aus: Die Absichtserklärung sieht unter anderem einen Rückzug der Israelis aus Teilen des Gazastreifens und aus Jericho vor. Außerdem visiert sie die Einrichtung einer „nationalen Behörde“ an. Wenn dies geschehen ist, soll eine fünfjährige Übergangszeit beginnen, in der weitere Abzüge erfolgen. Spätestens ab dem dritten Jahr sollen Verhandlungen für eine dauerhafte Regelung stattfinden.

Arafat ganz groß

Oslo ermöglichte der PLO als Unterzeichnerin ein wichtiges Etappenziel: die Rückkehr aus dem Exil in die territoriale Nähe des Feindes. Im Mai 1994 erfolgte der Rückzug der Israelis aus Gaza und Jericho, die Autonomiebehörde wurde geschaffen, die fünfjährige Übergangsphase begann. Deutschland war das erste Land, das in Jericho eine Vertretung einrichtete.

Im Juli 1994 kam es jedoch zunächst zur triumphalen Rückkehr Arafats aus dem Exil – zuletzt hatte er 1967 seinen Fuß auf „palästinensisches Land“ gesetzt. Auch hier entstand wieder ein ikonisches Bild: Es zeigt Arafat, wie er in einer Mercedes S-Klasse steht und aus dem Schiebedach winkt. Die Luxuslimousine fuhr vom ägyptischen Sinai über den Grenzübergang Rafah in den Gazastreifen ein. Vielsagend betonte Arafat damals, er kehre „zu dem ersten befreiten palästinensischen Land“ zurück.

In seinem Konvoi schmuggelte er indes vier Terroristen ein, einer davon lag auf dem Rücksitz seines Mercedes. Den Israelis fiel auf, dass Arafat viel größer wirkte als sonst. Zwar durften sie den Vereinbarungen zufolge die Fahrzeuge nicht durchsuchen. Aber der Inlandsgeheimdienst Schabak gelangte auch so an die relevanten Informationen. Premier Rabin drohte Arafat in der Folge mit dem Ende von Oslo. Arafat schickte die Terroristen nach Ägypten zurück.

Auch diese Episode unterstreicht, wie der Palästinenserführer den Frieden als Täuschungsmanöver nutzte. Wenige Tage vor der Unterzeichnung von Oslo I hatte er dem norwegischen Außenminister Johan Jørgen Holst noch brieflich zugesichert, dem Terror abzuschwören. Das war eine Forderung der Israelis gewesen, als sich abzeichnete, dass die PLO die Unterschrift zu Oslo I setzen würde. Ein kleiner Sieg für die Israelis, der aber angesichts des anhaltenden Terrors nichts bedeutete.

Stockender Prozess

Viele Israelis ahnten genau dies. Die keineswegs terrormüden Palästinenser verübten munter weiter tödliche Anschläge. Am Tag der Rückkehr Arafats kam es zu Protesten in Jerusalem. Im August 1995 protestierten die Israelis gegen Oslo, indem sie landesweit 80 Kreuzungen blockierten. Tiefpunkt dieses Unmuts war die Ermordung von Rabin am 4. November 1995 durch den jüdischen Extremisten Jigal Amir.

Diese Entwicklungen ließen den „Oslo-Prozess“ stocken. Die Endstatusverhandlungen, um die es laut dem Plan eigentlich ab 1997 gehen sollte, wurden im Jahr 2000 geführt – erstmal nur zur Jerusalem-Frage. Bekanntlich scheiterte dieser Gipfel von Camp David krachend. Der damalige Premier Ehud Barak ließ sich sogar dazu hinreißen, die Teilung Jerusalems anzubieten. Arafat sagte zu allem nichts: Ein endgültiges Abkommen mit Israel wäre den Zielen der PLO zuwidergelaufen.

Stattdessen folgte mit der „Zweiten Intifada“ eine erneute Terrorwelle, in der rund 1.000 Israelis getötet wurden. Die Armee fing an, in Terrorhochburgen wie Dschenin vorzudringen – das 1995 unterzeichnete Oslo-II-Abkommen sah dort eigentlich eine vollständige Autonomie der Palästinenser vor. Der Terror torpedierte dies.

Hartnäckige Illusionen

Heute regeln die Oslo-Verträge weiterhin die Beziehungen von Israelis und Palästinensern. Dazu gehört der Aspekt, dass Israel für die Autonomiebehörde Steuern eintreibt oder die Importe regelt. Auch Bestimmungen zur Nutzung des Grundwassers sind darin enthalten.

Die Sicherheitszusammenarbeit zwischen den Israelis und den durch Oslo eingeführten palästinensischen Sicherheitskräften gehört zu den wenigen Dingen, die von beiden Seiten gelobt wird. Kein Wunder: Es geht nicht nur um die Bekämpfung des Terrors gegen Juden, sondern auch den Einsatz gegen Terror-Organisationen wie die Hamas, die innerpalästinensischen Widersacher der PLO.

Abgesehen von diesen pragmatischen Dingen gilt der Oslo-Prozess in seinem ideellen Aspekt, als schrittweiser Weg zum Frieden, längst als hinfällig. Der frühere Knessetvorsitzende Juli Edelstein sprach unlängst wegen der Terror-Opfer von einem „schweren Fehler“. Die für Israelis bittere Ironie ist, dass sie selbst es waren, die die PLO, die eigentlich schon am Ende war, durch die Gespräche in Oslo wieder auferstehen ließen.

Dieser Artikel ist zuerst bei Israelnetz erschienen.