Der amerikanische Nachrichtensender CNN hält es für wahrscheinlich, dass israelische Soldaten die Journalistin Schirin Abu Aqla „gezielt getötet“ haben. Das gehe aus einer eigenen Untersuchung des Vorfalls hervor, über die der Sender am Dienstag berichtete. Nach eigenen Angaben wurden dafür elf Videos ausgewertet. Doch völlig stichhaltig sind die Untersuchungen und Schlüsse von CNN nicht.
Der Sender beruft sich unter anderem auf Augenzeugen, darunter eine Kollegin von Abu Aqla, Schatha Hanaischa. Sie sagt, dass sie den Eindruck hatte, gezielt ins Visier genommen worden zu sein. Immer wenn sie versucht habe, ihre auf dem Boden liegenden Kollegin zu erreichen, sei geschossen worden. Zudem hätten sich keine bewaffneten Palästinenser in der Nähe befunden.
CNN beruft sich weiter auf den britischen Sprengwaffen-Experten Chris Cobb-Smith. Aufgrund der Einschussmuster an den Bäumen geht er davon aus, dass es sich nicht um wahlloses Feuer, sondern um gezielte Schüsse handelt.
Als weiteren Experten zieht CNN Robert Maher heran, einen Spezialisten für forensische Audioanalysen. Er kommt zu dem Schluss, dass bei einem auf Videoaufnahmen hörbaren Schuss kurz danach ein Treffer zu hören ist; der zeitliche Abstand stimme mit dem Abstand der Soldaten zu der Journalistengruppe überein, wie ihn auch die Armee ermittelt habe, also etwa 180 bis 200 Meter.
An diesen Erklärungen mag einiges stimmen. Doch sie laden auch zu Rückfragen ein. Zunächst war Cobb-Smith nicht vor Ort, sondern hat sich Bilder angeschaut, die ihm CNN zugeschickt hatte. Einen Gesamteindruck von dem Ort wird er auf diese Weise nicht erhalten haben.
CNN geht außerdem auf ein Video ein, das die israelische Regierung und die Armee teilten. Es zeigt einen Palästinenser, der in Dschenin um die Ecke eines Hauses schießt. Kurz darauf ist zu hören, wie Palästinenser von einem getroffenen Soldaten sprechen.
Der Sender hat nun herausgefunden, dass die Videoaufnahme und der Ort der Tötung etwa 300 Meter auseinanderliegen. Er kommt zu dem Schluss: „Die Aufnahme des Videos kann nicht dieselbe Ladung Waffenfeuer sein, die Abu Aqla und ihren Produzenten, Ali Al-Samudi, getroffen hat.“
Allerdings haben das weder die Armee noch die Regierung behauptet. Auf einem längeren Video derselben Aufnahme ist deutlich zu sehen, dass Palästinenser von einem anderen Ort herbeieilen und von einem „getroffenen Soldaten“ sprechen. Sie standen also unter dem Eindruck, dass ein Armeeangehöriger und nicht eine Journalistin getroffen wurde. Die Frage, wie sie zu diesem Eindruck kommen konnten oder aus welcher Richtung die Palästinenser heranliefen, behandelt der CNN-Bericht nicht.
Weiter zeigt CNN zwei Ansichten der betreffenden Straße, die Palästinenser vor Ort in zeitlicher Nähe der Tötung aufgenommen haben. Die erste stammt von der Kreuzung am Straßenende, wo sich Abu Aqla aufhielt. Eine zweite Aufnahme scheint von einer Position zwischen den Journalisten und der Armee zu stammen; jemand befindet sich also wesentlich näher am israelischen Militärkonvoi. Zu erkennen ist das an dem weißen Bus, der in der zweiten Ansicht näher zu sein scheint.
Zwar deutet anhand der Aufnahmen nichts darauf hin, dass sich dort auch bewaffnete Palästinenser aufhielten. Sie sind aber auch nur wenige Sekunden lang. Allein schon um beim Betrachter letzte Zweifel zu beseitigen, sollte CNN der Frage nachgehen, woher genau diese zweite Aufnahme stammt und ob diese Position nicht direkt in der Schusslinie zwischen den Soldaten und den Journalisten liegt. Das könnte bedeuten, dass die Armee jemand anderen ins Visier genommen hat und Schüsse dabei auch in den Bereich hinter diesem Ziel, also bei den Journalisten, einschlugen.
Zu klären wäre auch, ob diese Position vom Blickfeld der Journalisten verborgen war. Die Karte, die CNN im Artikel zeigt, lässt die Gegebenheiten der Straße nicht gut erkennen, da eine dicke, gelbe Linie darauf gelegt ist. Andere Karten des Ortes zeigen, dass zwischen der Position der Soldaten und der Journalisten eine Querstraße abgeht. An dieser Stelle knickt die Straße leicht ab, und es ist durchaus möglich, dass die Journalisten nicht alles im Blick hatten, was sich zwischen ihnen und den Soldaten befand.
Letztlich gesteht auch CNN zu: „Um die Kugel zum Lauf einer bestimmten Waffe zurückzuverfolgen, braucht es wahrscheinlich eine gemeinsame israelisch-palästinensische Untersuchung.“ Die Palästinenser haben die Kugel, die Israelis – nach den Mutmaßungen von CNN – die Waffe. CNN schreibt zwar, dass die Palästinenser sich so einer Untersuchung verweigern, unterschlägt aber, dass die Israelis genau so eine gefordert haben.
Letztlich ist in dieser Angelegenheit nach wie vor nichts abschließend geklärt und nichts ausgeschlossen – auch nicht, dass der tödliche Schuss von einem israelischen Gewehr kam. Die Analysen von CNN bestätigen insofern gängige Theorien, fördern allerdings keine wirklich neuen Erkenntnisse zutage. Doch der Schluss, dass Israel gezielt die Journalisten ins Visier genommen hat, scheint aufgrund der offenen Fragen zu weit hergeholt.