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Knesset-Wahlen 2019

Von der Kunst vorgezogener Wahlen

Wie schon in den Jahren zuvor finden die Wahlen 2019 nicht zum regulären Termin statt. Vorgezogene Wahlen sind der Normalfall – die letzten „pünktlichen“ Wahlen liegen lange zurück.
Hintergrund | 07.04.2019

Israel ist nicht nur die einzige Demokratie im Nahen Osten, sie ist auch eine „lebhafte“. So hat es zumindest der damalige US-Präsident Barack Obama einmal in einer Rede in Jerusalem im Jahr 2013 formulierte. Das war wohl im Guten wie im Schlechten gemeint. Denn „lebhaft“ kann auch bedeuten, dass viel Unerwartetes passiert – wie etwa vorgezogene Wahlen. An diesem Mittel haben sich israelische Premierminister in erstaunlicher Regelmäßigkeit bedient. Manchmal war Machtgewinn das Ziel (Erfolg war ihnen dabei nicht immer gewährt), und manchmal blieb ihnen einfach nichts anderes übrig. Ein Blick zurück zeigt, warum es so oft dazu kam.

2019 – Streit um Wehrdienst Ultra-Orthodoxer: 7 Monate früher

Anlass für das Ende der Regierung und damit für die vorzeitige Ausrufung war der Streit um die Wehrpflicht Ultra-Orthodoxer. Geschwächt war die Koalition aber bereits durch den Rücktritt des Verteidigungsministers und Jisrael-Beiteinu-Chefs Avigdor Lieberman im November. Dieser fand die Reaktion von Regierungschef Benjamin Netanjahu auf Raketenangriffe aus dem Gazastreifen zu lasch. Die Regierungsparteien besaßen mit seinem Rücktritt wieder nur 1 Stimme Mehrheit in der Knesset.

2015 – Streit um das Nationalstaatsgesetz: 2 Jahre & 8 Monate früher

Die Regierung hatte sich offenkundig selbst überlebt: Im Dezember 2014 feuerte Netanjahu seinen Finanzminister Ja’ir Lapid (Jesch Atid) und Justizministerin Zippi Livni (HaTnua). Beiden warf er vor, gegen ihn putschen zu wollen. Streitpunkte gab es genug, etwa das Verteidigungsbudget oder die Frage der Siedlungen. Entscheidend für den Bruch war letztlich das damals geplante Nationalstaatsgesetz. Lapid und Livni befürchteten, Araber könnten diskriminiert werden, wenn Arabisch nicht mehr als offizielle Sprache gilt. Das Nationalstaatsgesetz kam dann in der folgenden Amtszeit durch, im Juli 2018 – mit einem „Sonderstatus“ für das Arabische.

2013 – Budgetstreit und veränderte Machtverhältnisse: 9 Monate früher

Die Wahlen im Januar wären regulär im Oktober 2013 erfolgt. Doch da Netanjahu ein schwer durchzubringendes Budget mit Kürzungen plante, kündigte er im Oktober 2012 Neuwahlen für den Januar an. In Netanjahus Kalkül waren aber auch veränderte Machtverhältnisse relevant: Die Kadima, die Mitte 2012 kurzzeitig der Koalition angehörte und größte Knessetpartei war, verlor in Umfragen an Stimmen. Und auch sonst hatte Netanjahu keine ernsthafte Konkurrenz zu befürchten – die anderen Parteien hatten schlicht keinen Kandidaten parat, um Netanjahu ernsthaft zu gefährden. Verloren hat die Liste von Likud und Jisrael Beiteinu dennoch, während die neue Partei Jesch Atid von Lapid auf Anhieb zweitstärkste Kraft wurde.

2009 – Kadima-Führung versagt: 1 Jahr & 8 Monate früher

Die Wahlen für die 18. Knesset hätte erst im Oktober 2010 stattfinden sollen. Doch Regierungschef Ehud Olmert (Kadima) kündigte im Sommer 2008 wegen Korruptionsvorwürfen seinen Rücktritt an. Seine Nachfolgerin im Amt des Parteichefs, Zippi Livni, schaffte es bis Ende Oktober nicht, eine neue Koalition zu bilden. In den Wahlen im Februar 2009 wurde die Kadima zwar die stärkste Kraft, aber Staatspräsident Peres beauftragte Netanjahu mit der Regierungsbildung, weil das rechte Lager größer war.

2006 – Arbeitspartei sucht Sozialprofil: 1 Jahr & 7 Monate früher

Im Januar 2005 war die Arbeitspartei unter Führung von Peres der Regierung beigetreten. Mit deren Stimmen konnte Regierungschef Ariel Scharon den in seiner eigenen Likud-Partei unbeliebten Gaza-Rückzug durchbringen. Im November wurde dann aber Gewerkschaftsführer Amir Peretz Chef der Arbeitspartei und veranlasste deren Rücktritt aus der Koalition. Er wollte der Partei wieder ein stärkeres Sozialprofil verleihen. Der Regierung fehlte daraufhin die Mehrheit. Noch vor den Wahlen im März 2006 fiel Scharon nach einer Hirnblutung in ein Koma, so dass Olmert die Kadima in die Wahlen führte.

2003 – Arbeitspartei gegen Haushaltskürzungen: 10 Monate früher

In der ersten Hälfte der 2000er Jahre kämpfte Israel gegen den Terrorismus der Zweiten Intifada und eine Wirtschaftskrise. Scharon war ins Amt des Regierungschefs gekommen, nachdem Ehud Barak 2001 zurückgetreten war und die Knessetabgeordneten eine Premierministerwahl abgehalten hatten. Scharons politische Maßnahmen – ein Wirtschafts-Notfallplan, ein gekürzter Haushalt und härtere Militäraktionen gegen die Palästinenser – schmeckten der Arbeitspartei nicht. Sie trat aus der Koalition aus und Scharon rief 9 Monate vor dem eigentlichen Termin Neuwahlen aus. Ein glücklicher Zug, denn der Likud konnte die Zahl seiner Sitze auf 38 verdoppeln.

1999 – Netanjahu gibt auf: Anderthalb Jahre früher

Als Regierungschef konnte Netanjahu bei seinen Koalitionspartner weder seine Nahost-Politik noch den Staatshaushalt durchbringen. Daher rief er zu Jahresbeginn 1999 Wahlen aus, die erst im November 2000 hätten stattfinden sollen. Wie bereits 1996 wählten die Israelis nicht nur die Abgeordneten, sondern auch den Regierungschef – und hier gewann Barak, Vorsitzender der Arbeitspartei, mit 56 Prozent. Sowohl die Arbeitspartei (die in einer Liste mit zwei anderen Parteien angetreten war) wie auch der Likud erlitten jedoch erhebliche Verluste: Erstmals in der Geschichte Israels vereinten die beiden größten Fraktionen weniger als die Hälfte der Knesset-Sitze auf sich.

1996 – Neuwahlen nach Attentat auf Rabin: 5 Monate früher

Nach dem tödlichen Attentat auf Regierungschef Jitzchak Rabin im November 1995 übernahm Peres das Amt des Regierungschefs. Er rief im Mai 1996 Wahlen für Ende Oktober aus. Umfragen sagten seiner Partei einen klaren Sieg voraus. Peres wollte sich für die Umsetzung des Oslo-Prozesses und für Verhandlungen mit Syrien mehr Rückhalt verschaffen. Aber mehrere palästinensische Selbstmordanschläge in den Monaten vor den Wahlen führten dazu, dass der Likud unter Netanjahu Zulauf bekam. Die Arbeitspartei wurde zwar stärkste Kraft, aber erstmals wählten die Israelis auch ihren Regierungschef direkt. Mit diesem neuen Verfahren sollte verhindert werden, dass kleine Parteien allzu viel politisches Kapital aus ihrer Rolle als „Königsmacher“ schöpfen. Netanjahu, der im Wahlkampf immer wieder das Thema Sicherheit zur Sprache brachte, gewann dieses Votum, wenn auch hauchdünn mit einem Stimmenvorsprung von 30.000 oder 1 Prozent.

1992 – Regierung verliert Mehrheit wegen Palästinenserfrage: 5 Monate früher

Es war die Zeit der politischen Umbrüche: Ende 1991 verhandelten die Israelis auf der Madrider Konferenz erstmals mit Jordaniern und Palästinensern. Die Aussicht auf Autonomie für die Palästinenser führte dazu, dass bis Anfang 1992 drei Parteien aus der vom Likud geführten Koalition austraten. Die Regierung verlor damit 7 Sitze, zuvor hatte sie eine Mehrheit von nur 2 Sitzen. Schamir und Oppositionsführer Rabin einigten sich darauf, die im November vorgesehenen Wahlen bereits im Juni abzuhalten. Die Arbeitspartei gewann, Rabin wurde Premierminister, und der Oslo-Prozess kam ins Rollen.

1988 – Wahlen zum regulären Termin!

Mehr als 30 Jahre ist es her, dass in Israel Wahlen zum vorgesehen Termin stattfanden: Am 1. November 1988. Israel hatte gerade eine ungewöhnliche Legislaturperiode hinter sich: In einer „großen Koalition“ rotierten Schamir und Peres im Amt des Premierministers – ab 1984 regierte Peres zwei Jahre, 1986 übernahm Schamir. Nachdem die Hyperinflation Mitte der 1980er überwunden war, ging es im Wahlkampf 1988 vor allem um die Frage von Nahost-Verhandlungen – seit einem Jahr wütete die Erste Intifada. Nach der Wahl einigten sie die beiden stärksten Parteien wieder auf eine „große Koalition“ (jedoch ohne Rotation), da es ihnen nicht gelang, eigene Regierungslager zu bilden. Das gemeinsame Glück reichte aber nur bis 1990, als Peres versuchte, Schamir zu überrumpeln und das Amt des Regierungschefs zu ergattern. Er scheiterte und verabschiedete sich in die Opposition.

Reguläre Wahlen: eine Seltenheit

Damit steht fest: Reguläre Wahlen sind in Israel die Ausnahme. Tatsächlich fanden seit der Staatsgründung nur 3 von 21 Wahlen regulär statt: 1965, 1969 und eben 1988. 1973 hätten die Wahlen regulär Ende Oktober stattgefunden, wenn nicht der Jom-Kippur-Krieg dazwischen gekommen wäre. So gingen die Israelis erst am 31. Dezember wählen.

Die Wahlen von 1959 stellen einen Grenzfall dar: Die fanden zwar im vorgesehenen Zeitraum statt, nämlich an einem Dienstag im Monat Cheschvan vier Jahre nach den letzten Wahlen. Sie waren aber insofern „irregulär“, als Regierungschef David Ben-Gurion schon im Juli das Ende seiner Regierung und damit Neuwahlen ausrief.

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