Die Amerikaner waren wieder mal die Ersten. Während mancher Autobauer noch darüber nachdenkt, ob er in einem eigenen Zentrum in Israel die Zukunftstechnologien der Branche erforschen möchte, hat General Motors (GM) dort längst Fuß gefasst. Der Konzern eröffnete im Jahr 2008 in der Küstenstadt Herzlia nördlich von Tel Aviv das erste Entwicklungszentrum im jüdischen Staat, das sich um die anstehende Smart-Car-Revolution kümmert: Rund einhundert Angestellte tüfteln dort an Technologien für Autos, die ihren Besitzer identifizieren, selbst fahren, Gefahren auf der Straße erkennen, sich mit dem Internet verbinden und dabei Hacker-Angriffe abwehren.
Die frühe Entscheidung für Israel, mit der GM nicht ohne Stolz wirbt, war gleichsam prophetisch. Der Umbruch in der Autobranche nimmt derzeit volle Fahrt auf, und Israel ist eines der Zentren dieser Entwicklung. Der Leiter von GM in Israel, Gil Golan, formuliert es so: „Die israelische Hightech-Industrie spielt eine bedeutende Rolle im Wandel der weltweiten Autoindustrie, der sich gerade vollzieht.“
Dabei geht es nicht nur darum, Autos intelligenter zu machen und stärker zu vernetzen. Angesichts des Dieselskandals, der im Jahr 2015 einsetzte, sind Autobauer außerdem auf der Jagd nach guten Lösungen für alternative Antriebe.
Führungsmanager zahlreicher großer Autounternehmen fliegen derzeit vermehrt nach Israel, um dort Möglichkeiten der Zusammenarbeit zu erkunden. Während solche Besuche früher eine Sensation gewesen wären, seien sie heute schon Routine, gähnte das israelische Wirtschaftsmagazin „Globes“ im vergangenen November. Andererseits kann es das Magazin selbst kaum fassen, dass „ein kleines Land im Nahen Osten, fast ohne eigene Autogeschichte“ jetzt Entscheidendes für die Zukunft der Branche beiträgt. „Globes“ bezeichnet diese Entwicklung als „das Wunder“.
Tatsächlich ist es in Israel nicht weit her mit der klassischen Autoindustrie. Das erste Autounternehmen Autocars wurde 1957 in Haifa gegründet. Es griff auf Fremdmotoren und -teile zurück, die in Israel zusammengebaut wurden. Große Stückzahlen kamen dabei nicht zustande, und 1982 wurde die Produktion eingestellt. Heutige Unternehmen wie HaArgas und Merkavim bauen hauptsächlich Busse. Die Hersteller Automotive Industries und Plasan sind bekannt für ihre geländegängigen Armeefahrzeuge. Während Plasan sogar die US-Armee beliefert, sind diese Autos weniger für den Durchschnittsisraeli geeignet. Dieser favorisiert die koreanischen Hersteller Hyundai und Kia, fährt aber auch gerne Toyota und Skoda.
Heute kommt es den Israelis zupass, dass die Autos zunehmend zu Computern auf Rädern mutieren – „digitale Transformation“ nennt die Branche diese Entwicklung. Und anders als beim klassischen Autobau kann die Hightech-Nation hier ihre Stärken ausspielen: Viele Computerunternehmen greifen bereits auf den talentierten Nachwuchs zurück, der in der Armee einen Schliff erhalten hat – und so tun es nun die Autobauer. Ein Beispiel dafür ist Gil Golan von GM: Er entstammt der Aufklärungseinheit 8200, die dem Militärgeheimdienst Aman unterstellt ist. Computerprogrammierung und Cybersicherheit sind dort das tägliche Brot. Heute versucht Golan, auch andere „Absolventen“ dieser Einheit für GM zu gewinnen. „Das obere Management erkennt das hochwertige Personal, das aus dieser Einheit kommt“, sagt er. GM will die Zahl der Mitarbeiter in Israel nunmehr verdoppeln.
Auch andere Autobauer ringen um die Talente im Land – selbst die sonst so erfindungsreichen Schwaben: Daimler gab im November 2016 den Arbeitsbeginn seines „Technologiezentrums“ in Tel Aviv bekannt; Porsche kündigte im Juni 2017 ein „Entwicklungsbüro“ sowie Millioneninvestitionen in Israel an. Volkswagen gründete im September 2016 in Herzlia ein Tochterunternehmen für Cybersicherheit namens Cymotive, um vernetzte Autos vor Cyberangriffen zu schützen – einer der Leiter von Cymotive ist der frühere Chef des israelischen Inlandsgeheimdienstes Schabak, Juval Diskin. Auch die Chinesen sind dabei: Der Autogigant Shanghai Automotive Industry Corporation (SAIC) verkündete ebenfalls Entwicklungsbüros in Israel; das Unternehmen kann dabei auf den Reichtum des chinesischen Internetverkäufers Alibaba zurückgreifen.
Welche Vorteile eine Vertretung vor Ort hat, erklärt der Geschäftsführer von Skoda, Bernhard Maier, so: „Innovative Projekte können in frühen Phasen entdeckt werden, und neue Geschäftsmodelle können daraus entwickelt werden.“ Die Zusammenarbeit erfolgt aber nicht nur durch Entwicklungszentren vor Ort, sondern auch über Partnerschaften. BMW hat etwa im Juli 2016 erklärt, mit dem wohl bekanntesten israelischen Unternehmen in der Autobranche zusammenzuarbeiten: Mobileye mit Sitz in Jerusalem. Das 1999 gegründete Unternehmen konzentrierte sich zunächst auf Lösungen, die Autofahrer bei Gefahren auf der Straße warnten. Heute steht es an der Spitze der Entwicklung für selbstfahrende Autos. Die deutsche Wirtschaftszeitung „Handelsblatt“ schrieb, Mobileye sei „das Auge des selbstfahrenden Autos“.
Der Clou an der Sache: Die Kameras und die Software erkennen nicht nur die Straßenverhältnisse und steuern das Auto entsprechend. Jedes Auto fungiert zudem als Datensammler. Die Daten werden zentral gespeichert, und jedes Auto mit Mobileye-Technologie kann darauf zugreifen. Mit der Zeit entsteht so Kartenmaterial, das präzise und in Echtzeit Auskunft gibt über Fahrdauer, Baustellen, Staus und Unfälle; selbst die Art des Straßenbelags erkennt das System.
Ebendiese Aussicht auf ein riesiges Datenmaterial war dann auch der Anreiz für die größte Übernahme in der Geschichte der israelischen Hightech-Industrie: Im März 2017 kaufte der amerikanische Chiphersteller Intel das Jerusalemer Unternehmen für umgerechnet etwa 14 Milliarden Euro. Der Geschäftsführer von Intel, Brian Krzanich, machte diesen Schritt seinen Mitarbeitern in einem Brief schmackhaft: „Wir sind ein Datenunternehmen. Autos und die Autoindustrie werden zunehmend von Daten bestimmt. Die Redewendung ‚Was ist unter der Haube‘ wird sich immer mehr auf die Computerleistung, nicht auf die Pferdestärke beziehen.“
Krzanich rechnete seinen Mitarbeitern vor, dass ein einziges selbstfahrendes Auto jeden Tag die Datenmenge produziert wie 3.000 Menschen, die im gleichen Zeitraum einen Computer benutzen. Intel möchte Lösungen anbieten, um diese immense Datenmenge zu verarbeiten. Für Mobileye hat sich schon die Ankündigung des Intel-Deals ausgezahlt: Im ersten Quartal 2017 stieg der Umsatz im Vergleich zum Vorjahr um 66 Prozent auf 105,9 Millionen Euro. Im August 2017 trat auch das Autounternehmen Fiat Chrysler der Allianz von Intel, Mobileye und BMW bei. Bis 2021 soll deren erstes vollständig selbstfahrendes Auto auf den Markt kommen.
Dieser Artikel ist zuerst bei Israelnetz erschienen.