Wie umständlich war es früher doch, Texte an der Schreibmaschine zu tippen. Falsch gesetzte Satzzeichen ließen sich nur umständlich korrigieren. Wer kein Tipp-Ex zur Hand hatte, war aufgeschmissen. Wer einen Absatz einschieben wollte, musste die Seite neu schreiben. Wer umformulieren wollte, überlegte sich das zweimal. Und dann kam mit dem Computer der Umbruch: Textpassagen ließen sich nun mithilfe entsprechender Programme mühelos herausschneiden, einfügen, ändern, neu aufsetzen, ohne dass davon eine Spur zurückblieb.
Einen ähnlichen Sprung haben Genforscher im Jahr 2012 hingelegt: Im August jenes Jahres veröffentlichten die Biochemikerinnen Emmanuelle Charpentier aus Frankreich und Jennifer Doudna aus den USA den ersten Fachartikel zu einer neuen Methode, um Gene zu verändern. So umständlich der Name CRISPR/Cas9 klingt, so einfach ist das Verfahren: Beliebige Genabschnitte lassen sich mithilfe des Enzyms Cas9 ebenso mühelos wie gezielt ausschneiden und ersetzen. Forscher haben mit CRISPR/Cas9 eine Genschere in die Hand bekommen; für sie ist nun die Bastelstunde angebrochen.
Da die Methode im Vergleich zu anderen auch noch kostengünstig ist, schwärmten Forscher schon bald von den neuen Möglichkeiten: Nieren von Schweinen würden sich so verändern lassen, dass sie als Transplantat für Menschen dienen; ein kleiner Eingriff, und Mikroben würden schon bald Heißhunger auf unseren Plastikmüll bekommen; Bienen ließe sich ein Hygiene-Tick verpassen, sodass sie ihren Bienenstock pingelig sauber halten; Viren wie Zika ließe sich der Garaus machen, indem man ihre ansteckenden DNA-Abschnitte herausschneidet; das gleiche wäre mit der DNA eines HI-Virus möglich, um Aids-Patienten zu heilen; Nahrungspflanzen würden sich robuster machen lassen, ohne dass sich anschließend auch nur eine Spur des Vorgangs nachweisen ließe. Und nicht zuletzt sprechen die Forscher auch von der Möglichkeit eines „Designer-Babys“ mit gewählter Augenfarbe oder Intelligenz.
Besonders die Möglichkeiten eines solchen Menschen nach Maß scheinen mit dem 1. Februar dieses Jahres noch einmal viel größer geworden zu sein. An jenem Tag erteilte die britische Behörde für menschliche Befruchtung und Embryologie (HFEA) als erste Staatsbehörde überhaupt eine Erlaubnis, in der viele einen Tabubruch sehen: Genforscher dürfen mithilfe von CRISPR/Cas9 Genversuche an menschlichen Embryonen vornehmen und das Erbgut gezielt verändern. Den Antrag darauf hatten die Londoner Entwicklungsbiologin Kathy Niakan und ihre Kollegen vom Francis Crick Institute gestellt, der größten Forschungseinrichtung für Biomedizin in Europa. Das Ziel sei es, „die Gene zu verstehen, die Embryos für eine erfolgreiche Entwicklung benötigen“, erklärte das Forscherteam. Die Wissenschaftler versprechen sich davon Erkenntnisse über Unfruchtbarkeit und Fehlgeburten, um so etwas in Zukunft zu verhindern. Die Ethikkommission des Instituts muss dem noch zustimmen.
So hehr das Ziel auch sein mag, das Unbehagen ist dennoch groß: Kommt die Forschung nicht in Teufels Küche, wenn sie Veränderungen am menschlichen Erbgut vornimmt? Sind die Folgen eines solchen Eingriffes absehbar? Lässt sich der Forscherdrang, wenn nicht stoppen, dann wenigstens eindämmen? Oder ist das überhaupt nicht notwendig? Heute mag es noch um Krankheiten gehen, aber ist der Designermensch bald Wirklichkeit? Und bedeutet das einen Pfusch an Gottes Schöpfung?
Eines steht fest: Skrupel haben die Forscher selbst, wenn auch mit unterschiedlichen Ausprägungen und Beweggründen. Die Londoner haben ihren Antrag mit selbst auferlegten Beschränkungen verbunden: Sie setzen sich den zeitlichen Rahmen, nur innerhalb der ersten sieben Tage der Embryo-Entwicklung mit deren Genen zu experimentieren. Die Embryonen erhalten sie nur mit Einverständnis von Patienten, die eine künstliche Befruchtung vornehmen; denn dabei werden meist mehrere Eizellen befruchtet, um die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft zu erhöhen. Dabei entsteht „Überschuss“, der dann für Forschungszwecke zur Verfügung steht. Auch geht es den Forschern zunächst einmal um Erkenntnis in der Sache, nicht um Behandlungen. Ein genveränderter Embryo darf keiner Frau eingesetzt werden; ein genveränderter Mensch ist demnach nach wie vor tabu.
Mit den Einschränkungen, die sich die Briten gegeben haben, hatten sie sicher auch die Ergebnisse chinesischer Forscher der Sun-Yat-sen-Universität in der chinesischen Provinz Guangdong im Blick. Mit Erlaubnis des Ethikausschusses der Universität haben diese Genveränderungen an Embryonen vorgenommen, um einer Blutkrankheit auf die Schliche zu kommen. Die Experimente, die im April 2014 bekannt wurden, zogen aber unbeabsichtigte Veränderungen am Erbgut nach sich – die CRISPR/Cas9-Methode arbeitet noch zu ungenau.
Die Untersuchungen der Chinesen waren dann auch Anlass für 18 Genforscher, zumeist aus den USA, ein internationales Moratorium zu fordern, also eine Denkpause, bevor Genmanipulationen am Erbgut des Menschen Anwendung finden. Zu groß sei derzeit die Unkenntnis über die Auswirkungen der CRISPR/Cas9-Methode, schrieben sie Anfang April 2014 in der amerikanischen Wissenschaftszeitschrift „Science“. Aus diesem Grund müsse zunächst weiter geforscht werden, um mehr Erkenntnisse über Folgen und Risiken zu erhalten. Zugleich sprechen sich die Forscher, zu denen mit Doudna auch eine der Erfinderinnen der CRISPR/ Cas9-Methode gehört, für eine breit angelegte gesellschaftliche Diskussion über die ethischen und juristischen Aspekte der Veränderung am Erbgut aus.
Wenige Tage vor diesem Appell erschien in der britischen Wissenschaftszeitschrift „Nature“ ein ähnlicher Einwurf von fünf US-amerikanischen Forschern, der weiter geht als der Aufruf in „Science“: Anders als ihre Kollegen fordern diese fünf einen völligen Forschungsstopp, wenn es um die Veränderung am menschlichen Erbgut geht. „Solch eine Forschung könnte missbraucht werden für nicht-therapeutische Veränderungen“, warnen sie. Im Zusammenhang mit den „unvorhersehbaren Folgen“ sei die Forschung „gefährlich und ethisch nicht vertretbar“.
Bei dieser weitergehenden Forderung mögen auch wirtschaftliche Aspekte im Blick sein. Die Verfasser des „Nature“-Aufrufs vertreten mit der Allianz für Regenerative Medizin eine Organisation, die auch für Medizin-Unternehmen spricht – Firmen also, die sich von der CRISPR/Cas9-Methode Profit versprechen, indem sie Gentherapien entwickeln und anbieten. Stärker als ihre Kollegen betonen die fünf Forscher in „Nature“ die Sorge, dass sich die öffentliche Meinung gegen Genmanipulation überhaupt wendet – wie Manipulation an Körperzellen zum Zweck der Therapie, bei der die Veränderungen gar nicht vererbt werden.
Der Wettbewerb um die wirtschaftliche Anwendung der CRISPR/Cas9-Methode ist tatsächlich längst entbrannt. Die Erfinderinnen Charpentier und Doudna haben bereits Unternehmen gegründet, um CRISPR/Cas9 zu vermarkten. Das Magazin Wirtschaftswoche spricht in diesem Zusammenhang von einem „Verteilungskampf“. Ende vergangenen Jahres hat etwa das von Charpentier gegründete Unternehmen Crispr Therapeutics ein Forschungsabkommen im Bereich Gentherapie mit dem deutschen Pharmakonzern Bayer abgeschlossen. Bayer investiert dafür umgerechnet rund 300 Millionen Euro. Und Lebensmittelunternehmen, die CRISPR/Cas9 an Nahrungspflanzen anwenden wollen, warten derzeit eine Entscheidung der EU-Kommission ab, die festlegt, ob entsprechende Pflanzen überhaupt als „genmanipuliert“ zu kennzeichnen sind.
Der Verlauf der Debatte innerhalb der Forschergemeinschaft zeigt, dass sowohl wissenschaftliche und wirtschaftliche Faktoren wie auch gesellschaftliche – vor allem die Sorge um den Ruf der Forschung – die ethische Debatte prägen. Dabei geht es letztlich auch darum, unnötigen Ängsten zu begegnen, erklärt Peter Propping. Der Bonner Humangenetiker hat für die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und andere Wissenschaftsorganisationen eine Stellungnahme zur CRISPR/Cas9-Methode mitverfasst. „Ein Moratorium hat das Ziel, zu verhindern, dass eine aussichtsreiche neue wissenschaftliche Entwicklung nicht von vornherein unkritisch und in Bausch und Bogen verboten wird“, sagt er. „Man möchte sich die Möglichkeit, dazuzulernen, nicht verbauen.“
Ein weiterer Faktor, nämlich Forschung schlicht um das Wohl des Menschen willen, spielt bei der Debatte auch eine wesentliche Rolle. Das betont die Tübinger Theologin Elisabeth Gräb-Schmidt, die wie Propping das Gutachten für die DFG mitverfasst hat. „In persönlichen Begegnungen mit Forschern habe ich nur verantwortungsbewusste, höchst aufmerksame und sensibel aufeinander hörende Personen kennengelernt, die mit Enthusiasmus ihre Forschung in den Dienst des Menschen stellen.“
In dem Gutachten unterstützt sie zusammen mit anderen Naturwissenschaftlern und Juristen den Aufruf zum Moratorium. „Dies soll dazu dienen, offene Fragen transparent und kritisch zu diskutieren, den Nutzen, aber auch potenzielle Risiken der Methode beurteilen zu können.“ Zugleich plädieren die Gutachter aber auch für weitere Forschungen an CRISPR/Cas9. Denn an Genmanipulation zu forschen, bedeute noch lange keine praktische Anwendung der Technik, die dann unter Umständen einen Missbrauch darstellt oder aus anderen Gründen bedenklich ist.
In der Frage, ob menschliche Embryonen dabei verwendet werden dürfen, wie es nun den Briten erlaubt ist, gibt es jedoch unterschiedliche Meinungen. Propping hält den Vorstoß der Briten auch für Deutschland für wünschenswert; derzeit verbietet das Embryonenschutzgesetz diese Art von Forschung. Der Humangenetiker hält es für problematisch, die Forschung einerseits zu verbieten, Erkenntnisse daraus andererseits dann aber für mögliche Therapien zu übernehmen. „Ein solches Verhalten wäre ethisch problematisch und parasitär.“
Für Gräb-Schmidt stellt eine solche „verbrauchende Embryonenforschung“ hingegen eine Verletzung der Würde dar: Das menschliche Leben wäre in diesem Fall kein Selbstzweck mehr. Sie sieht im Vorstoß der Briten daher kein Vorbild. Letztlich diene das Moratorium auch dazu, nach „ethisch hochrangiger Forschung“ zu streben. Derartige Vorbehalte könnten auch als Anregung dienen, neue Forschungswege zu suchen, meint sie. Anders als Propping hält sie es für ethisch vertretbar, Ergebnisse von Forschungen zu übernehmen, die hierzulande verboten sind; denn diese Ergebnisse würden eine neue Situation bieten, über die neu nachzudenken sei. „Hier kann der produktive Umgang mit Forschungsergebnissen das kleinere Übel bedeuten.“
Wie auch immer die Forschungsergebnisse zustande kommen – schon jetzt lasse sich sagen, dass gegen eine Gentherapie an Körperzellen zur Heilung von Krankheiten aus christlicher Sicht im Grunde nichts einzuwenden wäre. „Wenn die Aussicht auf Verhinderung unermesslichen Leidens in den Blick kommt, ist das grundsätzlich zu begrüßen“, meint Gräb-Schmidt. Um zu heilen, seien Eingriffe am Erbgut hingegen problematisch. „Das ist nur dann tragbar, wenn die Folgen in Zukunft einmal abschätzbar und vertretbar sind. Das scheint mir aber nicht der Fall zu sein.“ In einem solchen Fall seien grundsätzlich besondere Erwägungen nötig: Rechtfertigt die Krankheit einen Eingriff in die Keimbahn? Oder soll weiter nach Therapiemethoden gesucht werden, die Erbfolgen ausschließen? „Das erscheint mir als gangbarer Weg.“
Wieder anders sei der Fall gelagert, wenn in die Keimbahn eingegriffen wird, nicht um Krankheiten zu heilen, sondern um einen Menschen mit bestimmten Eigenschaften zu erschaffen: Von stärkeren Knochen, höherer Intelligenz, weniger Körpergeruch oder schlicht einer bestimmten Augenfarbe sprechen die Forscher. Wann ein solcher „Designermensch“ möglich ist, darüber geben Wissenschaftler allerdings unterschiedliche Auskünfte. Doudna sagte vergangenen September: „Zur Zeit ist noch größtenteils unbekannt, welche Gene welche Veränderung bewirken. Aber es ist wichtig zu wissen, dass uns die CRISPR-Technologie ein Werkzeug bietet, solche Veränderungen vorzunehmen, sobald das Wissen zugänglich ist.“ Immerhin: Als Beleg für den Fortschritt der Wissenschaft zeigt sie Mäuse, deren Farbe durch die gezielte Veränderung eines einzigen Gens von schwarz nach weiß verändert wurde.
Bis es beim Menschen soweit ist, wird jedoch noch einige Zeit vergehen. „Wir sind weit davon entfernt, das System des Zusammenwirkens der Gene beim Menschen zu verstehen“, erklärt Propping. „Es wäre also denkbar, dass sich etwa die Ausschaltung eines Gens in einem ganz anderen Zusammenhang auswirkt als erwartet.“ Doch auch wenn die Forschung das herausfindet, sei unklar, welche Folgen die Veränderung am Erbgut längerfristig für die Menschheit habe. Für Propping steht aus heutiger Sicht daher fest: „Die Methode darf am Erbgut des Menschen keinesfalls angewandt werden.“
Doch selbst wenn einmal alle wissenschaftlichen Bedenken ausgeschlossen werden und sich die Forschung um ihren Ruf nicht zu sorgen braucht – aus christlicher Sicht wäre ein Mensch nach Maß auch dann immer noch abzulehnen, erklärt Gräb-Schmidt. „Es geht um die Frage, wie wir uns selbst verstehen, und wie wir uns verstehen, wenn wir uns als Geschöpfe Gottes sehen. Das Geschöpfsein des Menschen bedeutet, dass sein Dasein unverfügbar ist und dass er gerade daraus seine Freiheit, Unabhängigkeit und Würde empfängt.“ Ein von anderen willkürlich gestalteter Mensch stünde diesen Werten aber entgegen. Denn diese verlangten, dass „sich der Mensch in seinem Sosein, in seiner Veranlagung, nicht anderen Menschen verdankt“. Zur Würde des Menschen gehöre zudem, dass seine Verletzlichkeit akzeptiert wird. „Das soll keine Verherrlichung von Schwäche und Krankheit sein, aber es stellt die Frage nach der Würde in den Horizont der Unverletzlichkeit und Unverfügbarkeit, der sich durch Machbarkeitsphantasien verschieben könnte.“
Derartige „Machbarkeitsphantasien“ erinnerten an Züchtungsvisionen vergangener Tage, meint Gräb-Schmidt. Aus christlicher Sicht kommt gegen derartige Vorstellungen das Argument der Geschöpflichkeit und Gottesebenbildlichkeit zur Geltung. „Der Wert eines Menschen ist nicht an Fitness- und Schönheitsvisionen festzumachen; er ist nicht an dessen Stärke und Leistung zu bemessen, sondern allein daran, dass er Mensch ist, und so wie er ist, gewollt ist.“
Aus dieser Vorstellung ergebe sich dann auch der christliche Beitrag zur ethischen Debatte um die CRISPR/Cas9-Methode. Und dieser sei notwendig, denn ethische Normen könnten sich mit dem Fortschritt der Wissenschaft verändern. Wichtig seien bei der Thematik daher grundlegende Fragen zum Menschenbild, meint Gräb-Schmidt. Bei allen Fragen, welche Forschungsziele und -methoden angemessen und vertretbar seien, gelte es, das Selbstverständnis des Menschen im Blick zu behalten. „Auf solche grundsätzlichen Überlegungen zur Ethik möchte die christliche Perspektive hinweisen.“
Dieser Artikel ist zuerst bei Christliches Medienmagazin pro erschienen.