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Zeitgeschichte

In Heiterkeit getötet

Die Olympischen Sommerspiele 1972 in München sollten der Welt ein friedliebendes Deutschland vor Augen führen. Jedoch verbreiteten acht Palästinenser Schrecken und Tod, als sie israelische Teilnehmer in Geiselhaft nahmen. Dass diese so dramatisch verlief, wurde auch durch die Unfähigkeit deutscher Staatsgewalt verschuldet.
Hintergrund | 13.07.2012

Dieses Mal sollte es ganz anders werden. München 1972 war als Kontrastveranstaltung zu Berlin 1936 geplant, als Adolf Hitler die Weltbühne, die sich mit den Olympischen Spielen bot, für seine Ideologie vereinnahmte. Nun hingegen hatte Deutschland die Gelegenheit, vor den Augen der Welt Weltoffenheit statt Rassismus, Lässigkeit statt Militarismus zu demonstrieren. Denn 1972 war Deutschlands dunkelste Stunde noch nicht so lange her.

Lange sah alles danach aus, dass dieses Vorhaben gelingen könnte. Die Spiele begannen am 26. August 1972 bei strahlendem Sonnenschein. Die Zuschauer begrüßten bei der Eröffnungsfeier im Münchener Olympiastadion die 7.170 Sportler, die sich bis zum 11. September in 195 Wettbewerben messen wollten. Nicht zu vergessen die etwa 5.000 Brieftauben, die am Eröffnungstag als Symbol des Friedens unter den Völkern in den blauen Münchener Himmel entlassen wurden.

Heiter wie das Wetter soll auch die Stimmung im olympischen Dorf gewesen sein, erinnern sich Zeitgenossen im Dokudrama „Vom Traum zum Terror – München 72“. In dem Areal nahe dem Olympiastadion waren die meisten Sportler untergebracht, darunter auch die 14 Athleten und die Betreuer aus Israel. Heiterkeit fand sich in München allenthalben, und niemand wollte damit rechnen, dass jemand die Weltbühne der Spiele für seine zweifelhaften Methoden ausnutzen würde.

Wirkungslose Warnungen

Dabei hatte es im Vorfeld genügend Anlass für mehr Vorsicht und Vorkehrungen gegeben. In den Jahren vor den Spielen waren palästinensische Freischärler für zahlreiche Anschläge und Anschlagsversuche auf deutschem Boden verantwortlich. Deutschen Sicherheitsbehörden war die Gefahr von Terrorgruppen bekannt. Im März 1972 warnte das bayerische Landeskriminalamt, dass Extremisten die Spiele nutzen könnten, um auf ihre Ideen und Ziele aufmerksam zu machen.

Auf das Sicherheitskonzept der Verantwortlichen – allen voran der Münchener Polizeipräsident Manfred Schreiber – hatte dieses Wissen keinen Einfluss. Sichtbare Sicherheitsmaßnahmen wie Wachhunde oder bewaffnete Polizisten würden zu sehr an das „Dritte Reich“ erinnern, so die Befürchtung. Entsprechend trugen die rund 2.000 Ordnungshüter innerhalb des Olympiageländes anstatt Uniform modische blaue Anzüge.

In diesem Sinne änderten die Verantwortlichen auch nichts am Sicherheitszaun, der das olympische Dorf umgab. Die etwa zwei Meter hohe Absperrung konnte praktisch jeder gesunde Erwachsene überwinden, sofern er dies wollte. Gewollt hatten dies etwa diejenigen Sportler, die bis spät in die Nacht in der Stadt unterwegs waren und dann nur über den Zaun in ihr Quartier gelangen konnten. Gewollt hatten es aber auch acht Palästinenser mit einem finsteren Plan.

Die Männer gehörten zur Terrorgruppe „Schwarzer September“, einem 1970 gegründeten militaristischen Zweig der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO. Einer der Drahtzieher der Münchener Geiselnahme, Mohammed Oudeh alias Abu Daoud, hatte zuvor Waffen besorgt und das olympische Dorf erkundet – ohne dass ihn jemand dabei kontrolliert hätte. Bei seinen Rundgängen wird er auch notiert haben, dass der Sicherheitszaun kein unüberwindliches Hindernis darstellt.

In den Morgenstunden des 5. September begleitete er die acht Terroristen zu ebenjenem Zaun. Diese übersprangen ihn und drangen in das Quartier der israelischen Sportler ein. Sie erschossen dabei zwei der Israelis – den Trainer der Ringer, Mosche Weinberg, und Gewichtheber Josef Romano –, als diese versuchten, sich ihnen entgegenzustellen. Keine 24 Stunden später sollten 15 weitere Personen den Tod gefunden haben – darunter alle israelischen Geiseln, fünf der Terroristen und ein deutscher Polizist.

Misslingen und Gelingen

Aus Sicht der Terroristen ging die Geiselnahme von Anfang an schief. Sie hatten nicht geplant, jemanden zu töten. Das Ziel der Aktion war es unter anderem, mehr als 230 namentlich genannte palästinensische Häftlinge aus israelischen Gefängnissen freizupressen. Außerdem sollte für sie und die Geiseln ein Flugzeug bereitgestellt werden.

Die israelische Regierung unter Führung von Premierministerin Golda Meir machte deutlich, in keiner Weise auf die gestellten Forderungen eingehen zu wollen. Der Krisenstab, zu dem auch der damalige Innenminister Hans-Dietrich Genscher gehörte, hatte unterdessen eine Fristverlängerung ausgehandelt. Nach der Absage Israels galt es, auf die Befreiung der Geiseln hinzuarbeiten. Dazu bot sich Genscher selbst als Tausch für die Geiseln an, was die Palästinenser aber ablehnten. Erfolgreich war er jedoch mit seiner Bitte, mit den Geiseln reden zu dürfen. Bei seinem Besuch in der Wohnung teilten diese ihm mit, dass sie einen Flug außer Landes befürworteten. Einen Zugriff auf die Wohnung hielten sie für zu riskant. Für diese Option waren bereits dreizehn Polizisten in Stellung gegangen, um über die Lüftungsschächte in die Wohnung eindringen zu können und die Entführer dingfest zu machen.

In Stellung gegangen waren allerdings auch Fernsehkameras, die die Bilder der bangen Stunden im olympischen Dorf auf die Fernseher übertrugen – auch auf das Gerät im Appartement der Israelis, so dass die Geiselnehmer bequem ausmachen konnten, wo sich die Polizisten verschanzten. Es gehört zum Dilettantismus der Einsatzleitung, vergessen zu haben, den Strom zur Unterkunft der Israelis abzuschalten.

Letztlich fiel dieser Fehler nicht ins Gewicht, weil es nicht zum Zugriff kam. Gehörig schief gegangen ist jedoch der kühne Plan, den Entführern zum Schein ein Flugzeug zum Abflug nach Kairo bereit zu stellen, ihnen tatsächlich jedoch auf dem nahegelegenen Militärflugplatz Fürstenfeldbruck das Handwerk zu legen. Zwei Hubschrauber sollten die Geiselnehmer vom olympischen Dorf zum Flugplatz transportieren, wo eine Boeing 727 der Lufthansa wartete. Die Hubschrauber trafen um etwa halb elf Uhr auf dem Flughafen ein. Die dort positionierten Scharfschützen eröffneten das Feuer. Der Schusswechsel währte zweieinhalb Stunden – währenddessen die Entführer die Geiseln erschossen oder per Handgranate töteten. Dass der Zugriff schief ging, liegt am Dilettantismus, der nun ins Gewicht fiel: Die Einsatzleitung verschätzte sich bei der Zahl der Entführer; die Scharfschützen waren zum Teil schlecht ausgebildet oder ausgerüstet.

Wie ist das Versagen von deutscher Seite zu fassen? Dazu darf gesagt werden: Damals gab es in Deutschland keine Spezialkommandos, die gegen Terrorgruppen hätten vorgehen können. Im Einsatz war die Münchener Stadtpolizei, die keinerlei Erfahrung im Umgang mit Terroristen hatte. Die banalen Fehler erklärt dieser Umstand freilich nicht. Unmittelbare und augenfälligste Konsequenz jedenfalls auf den katastrophalen Einsatzverlauf ist die Gründung der polizeilichen Antiterroreinheit GSG 9 noch im September 1972.

Offene Erinnerung

In der Rückschau mutet es wie eine Ironie der Geschichte an: Das Bemühen der Deutschen, die Schatten des „Dritten Reichs“ abzulegen und sich betont lässig zu geben, bezahlten elf jüdische Israelis mit ihrem Leben. Vielleicht etwas überzogen resümierte Israels damaliger Innenminister Josef Burg: „Bis heute meinten wir immer, dass Dachau in der Nähe von München liege. Von nun an liegt München leider in der Nähe von Dachau.“

Ein erstes Gedenken für die Opfer fand am Folgetag der Entführung im Münchener Olympiastadion statt. Die Organisatoren erwogen auch, die Spiele abzubrechen. Sie entschieden sich jedoch, auch mit dem Segen des israelischen Botschafters in Deutschland, Eliaschiv Ben-Horin, das Sportereignis zu Ende zu führen. Die Überlebenden der israelischen Mannschaft traten indes sofort die Heimreise an.

Die Erinnerung an den dramatischen Vorfall wird auf viele Weisen wachgehalten: Seit den Olympischen Spielen von Montreal 1976 veranstaltet die israelische Delegation alle vier Jahre eine olympische Gedenkzeremonie. Auf dem Münchener Olympiagelände befindet sich ein Denkmal mit den Namen der israelischen Opfer. Seit 1999 gibt es auf dem Flugplatz Fürstenfeldbruck ebenfalls ein Denkmal. Am 5. September dieses Jahres, zum 40. Jahrestag der Anschläge, werden an beiden Orten Gedenkveranstaltungen stattfinden.

Ohne Reue

Wie genau die Erinnerung an die Katastrophe zukünftig aussehen wird, ist heute keineswegs ausgemacht. Bislang unterlagen zentrale Dokumente einer Sperrfrist. Eine wissenschaftliche Aufarbeitung steht noch aus. Fragen sind noch zu klären, etwa ob Israel den Einsatz eines eigenen Anti-Terror-Kommandos angeboten hat oder über die Bedeutung der Unterstützung der Terroristen von rechtsradikaler Seite.

Die überlebenden Geiselnehmer mussten sich übrigens nie vor einem Gericht verantworten. Eine gerichtliche Untersuchung wurde zwar eingeleitet. Die Palästinenser dienten aber als Austausch für Besatzung und Geiseln einer Ende Oktober 1972 entführten Lufthansa-Maschine. Als letzter der an der Geiselnahme von München aktiv Beteiligten starb Aoud 2010 in Damaskus. Vier Jahre zuvor bekannte er gegenüber „Spiegel TV“: „Ihr könnt davon träumen, dass ich mich entschuldige. Ich bereue nichts.“

Dieser Artikel ist zuerst bei Israelnetz erschienen.